Zur Materialität mediatisierter Missachtung
Gender und Verletzbarkeit im Kontext internetbasierter Vernetzung
Die Artikulation gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit avanciert im Kontext digitaler Kulturen zu einer zentralen Herausforderung für demokratisch verfasste Gesellschaften im Spannungsfeld von Realität und Virtualität. Eine der zentralen Fragen lautet hier: Handelt es sich um einen realen Ausdruck unmittelbarer Gewalt (‚Hate Speech‘) oder um einen fiktionalen Akt freier Meinungsäußerung (‚Free Speech‘)? Die hier entwickelte Perspektivierung verweigert sich diesem normativ verankerten Entscheidungszwang.
Mit dem alternativen Begriff ‚mediatisierte Missachtung‘ wird die Kontingenz diffamierender Adressierungen mitsamt den Möglichkeiten für widerständige Praktiken betont, ohne Phänomene multimodaler Herabsetzung zu entproblematisieren.
Aus einer gender- und medientheoretischen Perspektive – insbesondere unter Rückgriff auf die Schriften von Judith Butler, Karen Barad und Donna J. Haraway sowie Elena Esposito – fragt Jennifer Eickelmann danach, welche Verletzbarkeit mediatisierte Missachtung adressiert. Mithilfe der Methodologie der Diffraktion werden digitale Anrufungen als Interferenzen medientechnologischer, ökonomischer sowie staatspolitischer und historisch gewachsener Formationen sichtbar gemacht, die an einen durch digitale Teilöffentlichkeiten hergestellten Schauplatz der Macht geknüpft sind. Der Kategorie Gender kommt hier – in konstitutivem Wechselverhältnis mit weiteren soziomedialen Kategorien – besondere Bedeutung zu.
Die Arbeit zeigt, dass die Anerkennung gegenseitiger Verletzbarkeit, und damit: die Anerkennung der Relationalität des Seins, im Kontext medientechnologischer Bedingtheit maßgeblich für ein Denken jenseits starrer, an der Souveränität einzelner orientierter Identitätsentwürfe ist. Verletzbarkeit erscheint hier nicht etwa als zu überwindende Schwäche, sondern als offener Möglichkeitsraum für die Re-Konfiguration mediatisierter Missachtung.
vgl. Eickelmann, Jennifer (2017): „Hate Speech“ und Verletzbarkeit im digitalen Zeitalter. Phänomene mediatisierter Missachtung aus Perspektive der Gender Media Studies. Bielefeld: transcript.
Jennifer Eickelmann hat von 2004-2010 Sozialpsychologie und –anthropologie, Erziehungswissenschaft und Gender Studies an der Ruhr-Universität Bochum studiert. Im Januar 2017 verteidigte sie erfolgreich ihre Dissertationsschrift mit dem Titel ‚Zur Materialität mediatisierter Missachtung. Verletzbarkeit und Gender im Kontext internetbasierter Vernetzung‘ am Institut für Medienwissenschaft an der RUB (Prof. Dr. Astrid Deuber-Mankowsky). Seit 2011 ist Jennifer Eickelmann wiss. Mitarbeiterin am Institut für Soziologie der TU Dortmund. Ihre Forschungsschwerpunkte sind: Gender Media Studies sowie Kultur- und Ungleichheitssoziologie, insb. Subjektivationstheorie; Performativitätstheorie; Theorie und Ästhetik des Digitalen; New Materialism.