Perspektiven filmischer Überwindung der bipolaren Geschlechternorm durch Rekurs auf mythisches Potenzial (Arbeitstitel)
Walter Benjamin machte klar, dass Filme Strukturen des Sozialen und der Gesellschaft reflektieren[1]. Dazu gehören auch Vorstellungen und Definitionen von Geschlechtlichkeit, die nicht in eine bipolare Normvorstellung von männlich und weiblich fällt: Das Androgyne, Mehrgeschlechtliche, Zwittrige, Hermaphroditische und all das, was nicht in eine binäre Geschlechtervorstellung passt. Die Dissertation unternimmt den Versuch einer gesammelten Betrachtung filmischer Perspektiven auf das Motiv der Androgynie, das all jene Konzepte umfasst. Das Motiv wird unter Rekurs auf die seine mythische Verankerung zu Ovid, Platon und weiteren Ursprungsmythen betrachtet, denen es entstammt.
Eswird untersucht, in wie weit filmische Inszenierungen des Motives auf diese Ursprungsmythen zurückgreifen und was dies für die filmische Darstellung bedeutet. Unter anderem wird den Fragen nachgegangen, inwieweit filmische Konzeptionen androgyner Charaktere die heteronormative, bipolare Geschlechtermatrix überwinden können und welche Rolle den mythischen Rückgriffen bei dieser Überwindung zukommt. Filmisches Analysematerial wird dazu in einem dekonstruktivistischen Kontext zu gender-, queer- und kulturtheoretischen Diskursen gestellt und mithilfe von mythentheoretischen Ansätzen auf die mythologischen Ursprünge des Motivs hin analysiert. Methodisch wird ein phänomenologischer Ansatz verfolgt, der sich auf filmische Darstellungen nonbinärer geschlechtlicher Identität und nicht normativer Körperlichkeit fokussiert. Filmisches Sequenzmaterial wird dabei als Primärquelle herangezogen, indem werkimmanente Filmanalyse an thematisch ausgewählten Sequenzen durchgeführt wird. Das Filmmaterial wird nicht nur als Analysegegenstand, sondern auch als Akteur und Produkt des Diskurses selbst verstanden. Es wird vermutet, dass auch im zeitgenössischen Unterhaltungskino Rückgriffe auf die mythischen Ursprünge des Motivs stattfinden und als Informationsträger von diesen Mythen impliziten Wissens fungieren. So können diegetische und logische Brüche innerhalb der filmischen Darstellungen überwunden werden, um auch Darstellungen ohne direkten Realitätsbezug rezipierbar zu machen. Die Rückgriffe schaffen so Zugänge zum randständigen Thema sexualindentitärer Problematiken, weswegen die Arbeit als anschlussfähig für kulturtheoretische und geschlechterwissenschaftliche Forschungen erachtet wird.
[1]Kracauer, Siegfried: Das Ornament der Masse. Frankfurt a. M.: Suhrkamp Verlag 1977, S. 279.
Lioba Schlösser, M.A., promoviert an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz und arbeitet als Lehrkraft für besondere Aufgaben sowie im Hochschulmarketing an der DEKRA |Hochschule für Medien in Berlin. Zuvor studierte sie Literatur-, Kultur- und Medienwissenschaft sowie Medienkultur an der Universität Siegen. Darüber hinaus ist sie als freie Journalistin in den Bereichen Kultur- und Subkulturjournalismus tätig. Ihre Forschungsinteressen umfassen kulturtheoretische Betrachtungen des Androgynen in Film und Mythos, Gender- und Queerstudies, Körper- und Normativitätsdebatten sowie Transgressions- und Ritualtheorie.