Formen der Magie in Zeiten realen Schreckens

(Un-)politische Gedanken über die Zusammenhänge von feministischem Materialismus, Magie und Hexerei

Von Konstanze Hanitzsch

Ursprünglich veröffentlicht im Gender-Blog der Zeitschrift für Medienwissenschaft.

Gerade setze ich mich daran, meinen Blogbeitrag zu schreiben – einen Tag vor dem Deutschen Nationalfeiertag (den ich mich schon freue im Rahmen des «Nie wieder Deutschland» in einem bekannten Berliner Club zu begehen) –, da höre und sehe ich die Nachrichten zur Schießerei in Las Vegas. Ist in solchen Zeiten ein Blogbeitrag über den Zusammenhang von Magie und feministischen Materialismus von Wichtigkeit? Was gälte es stattdessen zu tun? Ich sitze im Bademantel in meiner Kreuzberger Küche und habe ein Bauchgefühl, dass mir sagt, dass es richtig ist, weiter nachdenken zu können und diese Gedanken mit anderen zu teilen.

Anfangen möchte ich daher gern mit einer kritischen Nachfrage einer jungen studentischen Person während eines Vortrages zu Donna Haraway auf der Konferenz der D-A-CH Fachgesellschaften für Geschlechterforschung in Köln «Aktuelle Herausforderungen der Geschlechterforschung». Hier wurde die Frage gestellt, was an Haraway für die Geschlechterforschung nun eigentlich so wichtig sei. Verschiedene Stimmen, nicht nur der Vortragenden, meldeten sich zu Wort: Haraways kritische Betrachtung aktueller Entwicklungen in den Naturwissenschaften, das Aufbrechen von Grenzen bzw. die Beschreibung der Durchlässigkeit dieser Grenzen zwischen Mensch und Maschine, Mensch und Organismus und der Weiterentwicklung von kybernetischen Systemen und ihre Kritik des Anthropozäns standen dabei im Mittelpunkt.

Zu Grunde liegt der positiven Harawayrezeption, so erschien es hier vor allem, die Lektüre des Cyborgmanifests, das bahnbrechend war/ist und auch mit als Gründungs- bzw. Wendetext hin zum feministischen Materialismus gelesen wurde (vgl. Asberg z.B. 2013). Hier stand eine Form der Aussöhnung zwischen Ökofeminist_innen und STS (Science and Technologie Studies) bzw. zwischen der Göttin und der Cyborg im Mittelpunkt. D.h. auch eine zwischen Natur und Kultur. Statt die Position der Göttin einzunehmen, favorisierte Haraway am Ende die Cyborg, den illegitimen Abkömmling der kapitalistischen Kriegsmaschine – «wenn auch beide in einem rituellen Tanz miteinander verbunden sind» (Cyborg-Manifest). Diesem rituellen Tanz gilt es, ein wenig mehr Beachtung zu schenken.

Donna Haraways Arbeiten haben – wie auch Karen Barads Texte (beides wichtige Wissenschaftlerinnen des feministischen Materialismus) – eine spirituelle Ebene, die in neuen künstlerischen Auseinandersetzungen in Form von Magie und Hexenperformances zu Tage tritt.

Beispielsweise bezieht sich Johannes Paul Räther, der verschiedene Identitäten geschaffen hat, in denen er performt – u.a. die worldwidewitches – sowohl auf Donna Haraway als auch auf Silvia Federici. Letztere hat mit ihrem Buch «Caliban und die Hexe» über die Zusammenhänge der Entstehung des Kapitalismus und die Hexenverfolgungen geschrieben. (Anekdote am Rande: Vor Jahren machte Räther Performances, bei denen er aus Deutschlandfahnen verbrannte Rosen herstellte – und bei der Antinationalen Gala im oben genannten Club  verkaufte – wenn ich mich richtig erinnere). In seinen Performances werden aktuelle neue technologische Entwicklungen mit Ritualen und magischen Praktiken zusammengebracht. Zum Beispiel bei einer der worldhealing witches. Als Transformella gründete er bei einer Performance 2015 in Kassel mit der Bereitstellung der DNA des Publikums (Haar) einen neuen «tribe», dessen Genmaterial er einfror. Mit seinen Performances in Apple Stores wies er auf die Herkunft der so rein erscheinenden neuen Technologien hin.

Ein letzter Schlenker in meiner Darstellung des feministischen Materialismus als Form der Magie: Das Savvy veranstaltete 2016 die von Bonaventure Soh Bejeng Ndikung und Elena Agudi kuratierte Ausstellung «The Incantation of the disquieting muse. Von Göttlichem, Supra-Realitäten oder der Austreibung der HEXEREI» (SAVVY Contemporary, Berlin, The Laboratory of Form-Ideas, African Futures, Goethe Institut und Kulturstiftung des Bundes). Diese beschäftigte sich sowohl mit aktuellen künstlerischen Arbeiten, die sich mit Hexerei auseinandersetzen, als auch mit der Kolonialgeschichte Afrikas/Europas und dem Wiederaufspüren von Magie. Hier fanden sich u.a. Arbeiten zu Re-recycling und neokolonialem Minenabbau sowie zu der elektronischen Müllkippe in Accra (Ghana), dem oft so genannten «Schrottplatz der Welt». Materialität hatte einen überaus hohen Stellenwert. Hauptfokus der Ausstellung war und blieb jedoch Magie und Hexerei.

In Zeiten des «Postfaktischen» – ist es da nicht von besonderer Wichtigkeit, auch das vermeintlich Irrationale mit in den aktuellen Diskurs zu holen und zu zeigen, dass das Irrationale aus ethischer Perspektive betrachtet werden kann und einen Beitrag zu größerer gegenseitigen Achtsamkeit leisten kann? Nicht nur Haraway plädiert für eine Form der gegenseitigen Achtsamkeit. Karen Barad beschreibt (u.a. in ihren Texten, die bei Merve unter dem Titel «Verschränkungen» erschienen sind) eine besondere Ethik, die aus dieser Verschränkung hervorgeht. Eine Achtsamkeit eben sowohl dem Materiellen wie Nichtmateriellen gegenüber, wobei diese beiden Einheiten eben in sich mit einander verschränkt sind (Stichwort agentieller Realismus). Hier deucht es mich (in Anlehnung an Frau Dr. Fuchs, der deutschen Übersetzerin von Donald Duck) nach einer kleinen Deleuzelektüre («Spinoza und wir»), dass es sich um Gedanken handelt, die (nicht erst) bereits bei Spinoza verhandelt wurden und dass es sich um eine Ethik handelt, die mit Religion vergleichbar erscheint.

Dabei erscheint es mir produktiv, den Spuren aktueller Hexen – zu denen ich z.B. Räther, Preciado (mit «TestoJunkie» und hierin beschriebenen Vergleichen von Testogel und Hexensalbe), Annie Sprinkle (die mittlerweile ökologische Performances macht, in denen sie die Erde heiratet) rechnen würde – sowie aktueller Auseinandersetzungen mit Magie nachzugehen. Dabei steht für mich grundsätzlich die Frage im Raum, ob die drei Wissens/Erkenntnissysteme Magie, Religion, Wissenschaft nicht einer Neukonstituierung unterliegen.

Welchen Beitrag leistet die kritische Geschlechterforschung dabei? Sie stellt doch schon immer die Trennung zwischen Natur und Kultur, zwischen Materie und Diskurs in Frage. Wie hat sich die Hexe als Leitmotiv von den 1970ern bis heute entwickelt, welche Rolle spielt dabei die theoretische und auch immer ethische Entwicklung der Geschlechterforschung? Kann spirituelles, irrationales Wissen eingebettet in religionswissenschaftliche und postkoloniale Geschlechterforschung verwendet werden, auch um Gesellschaftskritik zu leisten?

Wie absurd ist es, dass Hillary Clinton im Wahlkampf 2016 als Hexe beschimpft wurde und man ihr vorwarf, sie würde sich regelmäßig mit Hexen in Los Angeles treffen (Titel «The Witching Season», New York Times), jetzt, da 2017 ein Donald Trump auf fakes und postfaktischem Sumpf seine Basis errichtet hat. Seit 1994 sind übrigens die WICCA eine eingetragene Religionsgemeinschaft in den USA. Ein Aufruf von Hexen, monatlich einen Zauberspruch, einen Bann gegen Trump auszusprechen, mag da kurios erscheinen («Witches cast spell against wicked› Trump», Fox News, 19.9.2017). Doch mein Punkt ist, dass Trump in seiner Unberechenbarkeit größere Irrationalität an den Tag legt.
In Zeiten von «fake news» bzw. in «postfaktischen» Zeiten muss wohl auch dem Irrationalen mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden. Nicht das Irrationale selbst ist die Gefahr – vielmehr die strikte Trennung von Vernunft und Irrationalität. Besser wäre es, sich des Irrationalem anzunehmen, damit dies nicht von vermeintlichen Vernunftgrößen vereinnahmt werden kann. Es gilt wohl, auch die Religion bzw. eine gewisse Form der Ethik und Moral, die mit dem Jenseits des von unserem menschlichen Verstand Fassbaren verbunden ist und das vielleicht an der Grenze bzw. an Schnittstellen von Materialität und Diskurs immer wieder aufscheint (nicht erst seit heute), es gilt auch dies wieder genauer zu betrachten. Um menschenverachtenden Handlungen, Diskriminierungen, Krieg und Vereinzelung und Verzweiflung den Kampf ansagen zu können. In dem Bewusstsein der gegenseitigen Abhängigkeit – oder, anders gesagt, der Verschränkung.

 

Dein Körper existiert nicht. Die documenta 14 ist zu Ende

Von Kathrin Peters

Ursprünglich veröffentlicht im Gender-Blog der Zeitschrift für Medienwissenschaft.

Die documenta gehört sicher zu den schlechtgeredeten Ausstellungsformaten. Sie ist immer nicht gut genug gemessen an dem, was man von ihr doch schließlich erwarten könnte. Aber dieses Mal war es besonders schlimm: «Zu viel Politik, zu wenig Ästhetik» war der Tenor. So titelte auch die Münstersche Zeitung zu den letzten Tagen der documenta 14 – ein bisschen hämisch, denn die Skulptur-Projekte Münster, die auch dieser Tage zu Ende geht, mögen alle: Eine übersichtliche Anzahl von Positionen, die sich nicht in die Quere kommen; man kann an Spätsommertagen durchs Wasser waten und sich ein Tattoo stechen lassen. Das scheint näher an dem zu sein, was ästhetische Erfahrung heißen kann, und ist ja auch wirklich gut und schön. In Athen/Kassel war Unübersichtlichkeit Programm, schon allein wegen der Streuungen und Wiederholungen über beide Orte hinweg, und wo es Erfahrungs- oder Erlebnisorte hätte geben können, missrieten sie.1

Aber das hat noch nichts mit Politik ‹oder› Ästhetik zu tun. Warum beide sich nicht wechselseitig ausschließen, ließe sich noch einmal mit vielen Referenzen darlegen, nicht nur an eine Lokalzeitung gerichtet, sondern auch an die überregionalen Feuilletons der Zeit und FAZ,2 aber auch an die taz und Teile der Kunstkritik,3 die «politisch» ja eher gut finden, aber trotzdem gegen «das wahllose Potpourri vom Postkolonialismus über die Migration bis zur Genderidentität» (Ingo Arend, in: taz, 7.6.17) waren oder die Rede vom Haupt- und Nebenwiderspruch bemühten, die sich angesichts Athen/Kassel wohl aufdrängte. Interessanter als der Versuch einer prinzipiellen Klärung ist aber wohl die Frage, wie es überhaupt kommt, dass ausgerechnet eine Ausstellung, die ja kaum mit thesenhafter oder aktivistischer Kunst auftrat und auch von kuratorischer Seite kein Manifest oder Book of Books vorlegte, den Vorwurf einfing, nun aber wirklich zu politisch zu sein.

Mir kam das vor wie ein Missverständnis, ich hielt und halte dagegen: Habt Ihr denn nicht die Fotografien von Heuhaufen gesehen, die Lala Meredith-Vula auf ihren Reisen seit den 1990ern durch den Kosovo gemacht hat, den Blick dabei wie festgestellt auf dieses fast schon beruhigende Motiv der Moderne? So viel kluger kunstimmanenter Bezug!4 Habt Ihr nicht diesen dichten Erzählstrang in der Neuen Galerie verfolgt, der von den Lazarett-Zeichnungen Cornelia Gurlitts über ein Pferde-Gemälde Max Liebermanns – einem Freund der früh verstorbenen Schwester des NS-Kunsthändlers – zu David Schutters Papierarbeiten führte, die Liebermanns Strich aufgreifen, und überleitete zu Yael Davids’ Holz-Glas-Installation, die wiederum Cornelia Gurlitt Reverenz erwies? A Reading That Loves – A Physical Act heißt die Arbeit Davids’ und das beschreibt ziemlich gut, was mir durch diese Lektüre, in diesen Räumen widerfahren ist. Habt ihr nicht die kleinen, farbigen Papiercollagen von Elisabeth Wild gesehen5, die sich mit den Webbildern von Computerchips verbanden, die Marielou Schultz ganz woanders gemacht hat? Habt Ihr Gauri Gills teils dokumentarischen, teils inszenierten Fotografien des ländlichen Indiens bemerkt, die dem recht abgegrasten Feld der zeitgenössischen Fotografie etwas ganz Unerwartetes hinzufügen?

Solche Reihen könnte ich lange fortsetzen und vielleicht kommt man von hier aus darauf, was die vehemente Abwehr auslöste. Denn es geht kaum darum, dass ein paar Schwarze und queere künstlerische Positionen mit von der Partie sind, was in der Gegenwartskunst keine Frage ist (nur, wie viele Positionen dürfen es sein?).6 Das geht in Ordnung, solange das Narrativ abgeschlossener Arbeiten oder Werkkomplexe aufrecht erhalten bleibt, solange nicht an der Logik der Filiation, wie sie an (westlichen) Ausbildungsstätten nach wie vor regiert, gerüttelt wird, mit all ihren Selektions- und Unterstützungssystemen; solange etwas ‹professionell› aussieht, was ja heißt, dass auf bestimmte Produktionsmittel selbstverständlich Zugriff genommen werden kann.

Die documenta 14 hat über weite Strecken diese Narrative und diese Logiken suspendiert und vermutlich war das ihr Skandalon: Es war eine Ausstellung der Verknüpfungen und entanglements, eine Ausstellung der kleinen Formen, die ineinander greifen, sich überlagern, unabgeschlossen blieben. Sie erzählte von abgebrochenen Karrieren, die vielleicht gar keine Karrieren waren, was ja insbesondere bei Künstlerinnen ein häufiger Fall ist. Es war eine Ausstellung, die nirgends aus dem Blick verlor, dass die Bedingungen, unter denen Kunst produziert oder unter denen etwas als Kunst anerkannt wird, nicht irgendein ‹Kontext› sind, für den man sich interessieren kann oder nicht, sondern dass diese Bedingungen aus den Arbeiten einfach nicht herauszuhalten sind. Meint man es ernst mit den partialen Perspektiven7, aus und in denen jede Kunst entsteht, und setzt man sich der Frage nach den impliziten Qualitätsmaßstäben von Gegenwartskunst tatsächlich aus (wie es das Fridericianum tat) – dann sieht das so aus, wie es in Kassel und in Athen aussah. Es geht dann nicht allein um Themen, die den einen zu politisch, den anderen nicht politisch genug sind. Die Struktur einer Ausstellung und damit die Ordnung der Kunst sind, worum hier gestritten wird. Das ist am Ende ein Streit ums Ästhetische.


1. Am Kasseler Friedrichsplatz, ein Ort, der schon aufgrund vorheriger Bespielungen eine Setzung einfordert, war der Parthenon of Books eine zwar riesige, aber recht durchsichtige, fast windige Konstruktion – was man als zerpflückte Monumentalität wieder gut finden kann. Auch die aufgeblasene Projektion von Theo Eshetu in Kassel hat im Vergleich zur Athener Variante einiges an Überzeugungskraft eingebüßt. Siehe hierzu Julian Bauer: Fragmentarischer Istzustand, in: wissenderkuenste.de, #6 (August 2017).

2. Besonders Hanno Rauterberg hat sich weit aus dem Fenster gelehnt: warum Münster besser ist als Kassel (Zeit, 13.6.17) und ein Rundumschlag zu «politisch korrekter Kunst» (Zeit, 26.7.17), dem ewigen Vorwurf der Konserverativen. Catrin Lorch von der SZ hat das anders gesehen, hier und, auch angesichts der Schulden, die Kassel jetzt in Athen hat, hier.

3. Z.B. Susanne von Falkenhausen: Get Real, in: Frieze, 188, 2017.

4. Korrespondierend in Athen: großformatige Abzüge von Fotografien Meredith-Vulas, die Versammlungen zeigen, in denen jahrhundertlange Blutfehden beigelegt wurden.

5. Siehe hierzu meinen Online-Beitrag: Indem man immer wieder auf dasselbe zurückkommt, stößt man immer wieder auf anderes, in: wissenderkuenste.de, #6 (August. 2017)

6. Für ziemlich viele schon haben die Co-Kurator_innen Paul Beatriz Preciado und Bonaventure Ndikung gesorgt.

7. In Anspielung auf Donna Haraway, die auch warnt vor «the danger of romanticizing and/or appropriating the vision of the less powerful while claiming to see from their positons» (S. 178). Ich bin mir nicht sicher, ob die documenta 14 dieser Gefahr an jeder Stelle entgangen ist. Donna Haraway: Situated Knowledges, in: The Science Studies Reader, hrsg. v. Mario Biagioli, NY/London 1999, S. 172–188.

Quoten sind was für Aufsichtsräte

Von Ulrike Bergermann

Ursprünglich veröffentlicht im Gender-Blog der Zeitschrift für Medienwissenschaft.

Hatten Sie Zweifel, dass die digitale Welt und ihre Erforschung Männersache sind? Nun haben Sie Gewissheit: Das Center for Advanced Internet Studies, angesiedelt an der Ruhr-Universität Bochum, finanziert vom Land NRW, in Kooperation mit den Universitäten Bonn, Münster und Düsseldorf sowie dem Grimme Institut, hat seine ersten neun Fellow-Posten mit Forschern besetzt. Wahrscheinlich ließen sich keine Forscherinnen finden… Für die Programmziele „Forschen in Gemeinschaft“ und „Öffnung in die Gesellschaft“ ein klassisches Signal. Die Auswahlkommission würde sicher gerne anders auswählen. Die aktuelle Ausschreibung ist > hier.

Wie Eribon lesen?

Von Andrea Seier

Ursprünglich veröffentlicht im Gender-Blog der Zeitschrift für Medienwissenschaft.

Didier Eribon hat ein überaus beeindruckendes Buch über Subjektivierung geschrieben, eine beachtliche Emanzipationsgeschichte, in der über viele Jahre angeeignetes philosophisches, soziologisches und politisches Wissen am Beispiel der eigenen Biographie erprobt wird sowie umgekehrt die eigene biographische Erzählung anhand unterschiedlicher Theoriekonstellationen ‹erprobt› wird. Es geht um eine Rückkehr der besonderen Art, oder anders, um eine besondere Art der Arbeit am Selbst, die auf drastische Weise seine soziale Situiertheit erschließt und mit diesem Erschließen auf ebenso vehemente und dringliche Weise die Techniken einer Neuerfindung des Selbst aufzeigt. Eine Rückkehr also, die nicht nostalgisch, nicht nur auf der Suche nach sich selbst ist, nicht nur re-konstruiert, sondern sich selbst und seine eigenen attachments in dieser Rückkehr neu erfindet. Diese Neuerfindung ist nicht unbedingt ein fröhliches Unterfangen, sie ist hochgradig ambivalent, mit Verlust und Schmerz verknüpft, und das Buch analysiert diese Ambivalenz zwischen Notwendigkeit und Ermächtigung überaus präzise.

In Rezensionen und Gesprächen heißt es oft, dass Eribon sehr schonungslos mit der eigenen Geschichte und nicht zuletzt auch mit der eigenen Mutter umgehe (vgl. Spiegel, NZZ, Die Neue). Das mag zutreffen, geht aber zugleich auch am Inhalt des Buches ein wenig vorbei. Denn schonungslos ist nicht unbedingt derjenige, der diese Geschichte aufschreibt bzw. mit größter Mühe und Rigorosität den eigenen Verleugnungsstrategien entreißt, sondern die Geschichte selbst bzw. das, was Eribon (mit Bourdieu) soziale Gewalt nennt. In den akademischen und feuilletonistischen Diskussionen, die über das Buch geführt werden, wird nun darüber vergleichsweise wenig gesprochen.

Überhaupt hat man den Eindruck, dass die überwältigende Aufmerksamkeit, die das Buch erlangt, auf rätselhafte Weise einher geht mit einer Vernachlässigung seines Inhaltes (vgl. die FAZ). Die berechtigten Einwände gegen das Buch, wie etwa die fehlende Berücksichtigung der Geschlechterfrage, gehen deshalb leider auch ins Leere, weil auch sie die Hinwendung zu dem, was das Buch erzählt, eher verstellen. Was sich in den Diskussionen über Eribons Buch deutlich abzeichnet, sind unterschiedliche Lektürepraktiken, die aus mikropolitischer Sicht hoch relevant sind. An kaum einem Buch der letzten Jahre fallen biografische, politische und akademische Lektüren derart spürbar auseinander wie an diesem Beispiel einer mikropolitischen Arbeit am Selbst. Und dieses Auseinanderfallen lässt einige Rückschlüsse im Hinblick auf die Frage zu, wie es um das Denken der Intersektionalität eigentlich steht.

Die Kategorie Klasse scheint momentan die große Unbekannte der Trias race-class-gender zu sein. Zu groß ist die Angst vor Essentialismen (warum?), unzulässigen Vereindeutigungen u.ä.. Begriffe wie Subalternität und Prekariat scheinen näher zu liegen, brauchbarer, verschiedenste soziale Markierungen zu benennen. Strategischer Essentialismus hat sich in Bezug auf den Klassenbegriff – britische Cultural Studies mal ausgenommen – nicht durchgesetzt. Eribons Buch ist allerdings gerade deshalb so beeindruckend, weil es darauf aufmerksam macht, wie schwer die Überwindung sozialer Grenzen wiegt, egal wie wir sie gegenwärtig bezeichnen oder ob wir sie überhaupt benennen wollen. Die Wirkmächtigkeit der Scham, die das Buch auf so intensive Weise darlegt, muss wohl als Beleg gelesen werden für die Undurchdringlichkeit sozialer Klassen. Es ist genau dieser Hinweis auf diese Undurchdringlichkeit am Beispiel eines Akademikers, der seine soziale Herkunft vermeintlich hinter sich gelassen hat, woran sich die Politik und das Anliegen dieses Buches ablesen lässt.

Hinweise auf die Arriviertheit von Eribon als Akademiker und Suhrkamp-Autoren etc. sind daher überaus irritierend. Sie lassen sich m.E. tendenziell als Form von Klassismus begreifen, mindestens aber als eine Lektürestrategie, die, ob beabsichtigt oder nicht, das Buch gegen den Strich liest (um mal mit voller Absicht eine Formulierung zu verwenden, die schon aus der Mode gekommen ist). Sie macht nicht die Klassenfrage zum Ding von Belang (Latour), sondern die Tatsache, dass Eribon es ‹geschafft› hat. Sie befördert damit eine Frage, die es gerade nicht zu stellen gilt: Zählt Eribon überhaupt (noch) zu den Subalternen oder nicht?

Damit lässt sich aber weder eine Politisierung der Scham noch überhaupt irgendeine politisch produktive Lektüre des Buches erreichen. Eher empfiehlt es sich wohl, Eribon mit Butler zu lesen (in einer Hinwendung zur eigenen Verletzbarkeit über die Hinwendung zur Verletzbarkeit Eribons), ohne das Buch mit race-class-gender-Registern und dekonstruktivistischen Textlektüren zu depolitisieren. Das Buch liest sich als glühendes Plädoyer für die Politisierung der Scham und kann selbst als gelungenes Beispiel dafür herhalten. Ich würde mir Lektüren wünschen, die dieses Potenzial befördern, anstatt es zu verknappen. Dazu wäre aber die Hinwendung zur eigenen sozialen Situiertheit notwendig. Die Gewalt sozialer Klassifizierung, die das Buch auf so berührende Weise verdeutlicht, hat gegenwärtig durchaus das Potenzial, sich weiter zu verschärfen. Auch Lektüren von Büchern sind in diesem Sinne von Belang.

Didier Eribon, Rückkehr nach Reims, Berlin (Suhrkamp) 2016
vgl. auch:
Peter Rehberg, Scham und Haltung, in: Der Freitag, 21.12.2016, Ausgabe 49/16
Dirck Linck, Die Politisierung der Scham. Didier Eribons »Rückkehr nach Reims«, in: Merkur, Heft 70, Nr. 808, 2016, 34-47

Zum Symposium «Hartgesotten hegemoniekritisch»

Von Kathrin Peters

Ursprünglich veröffentlicht im Gender-Blog der Zeitschrift für Medienwissenschaft.

Ein Symposium, das eine Feier war, oder eine Feier, die ein Symposium war. Agnes Böhmelt und Maja Figge berichten hier von der Veranstaltung, die vom 19. bis zum 21. Januar in Berlin zu Ehren von Dorothea Dornhof und Gabriele Dietze stattfand. Dornhof und Dietze haben viel bewirkt in ihrer Zeit an der Humboldt-Universität, insbesondere im Graduiertenkolleg «Geschlecht als Wissenskategorie». Es war ein Kolleg von großer Dringlichkeit und von einer Interdisziplinarität, durch die tatsächlich etwas Neues entsteht, das in keiner Disziplin zu Hause ist. Gender Studies zu betreiben heißt ja ohnehin, nicht zu Hause sein zu wollen, es heißt, Wissenskritik zu betreiben und die Institution, die eine trägt (wenn auch nur für eine Weile), immer wieder infrage zu stellen.

Etwas ging zu Ende mit dem Ausscheiden der beiden Literatur- und Kulturwissenschaftlerinnen aus der Universität. Während im Senatssaal die Intellektualität der beiden nur so strahlte, konnten wir zugleich Bilder von ganz woanders verfolgen: eine First Lady im eher stahl- als himmelblauen Kleid neben einem Präsidenten, der alles verkörpert, wogegen sich die feministische Kritik gestemmt hat. Nicht weniger als eine Inauguration ist auch eine Versammlung pinker Mützen ein performativer Akt. Das war das andere Bild, das die Konferenz untermalte. Klar ist: Es geht weiter, jetzt erst recht.

Zum Tagungsbericht «Konfliktreiche Konkordanz» von Agnes Böhmelt und Maja Figge

Judith Butler: On Trump, post-truth politics, speech acts, and fascism

aus der Redaktion
 Ursprünglich veröffentlicht im Gender-Blog der Zeitschrift für Medienwissenschaft.

Trump, fascism, and the construction of „the people“: An interview with Judith Butler, von Christian Salmon, in: Versobooks‘ Blog, 29.12.2016

zuerst erschienen in Mediapart, Judith Butler: pourquoi «Trump est un phénomène fasciste», übers. v. David Broder

… Salmon: Donald Trump did not campaign in poetry or in prose — as in the old saying coined by Mario Cuomo — but, like all fascist leaders, in argot. He invented his own sociolect, a mix of jokes, funny faces, scatological allusions, complaints, slogans and imprecations. His rhetoric corresponds to a sort of ‘branding’ based on exclusion. He communicates less by structured discourse than by signals, an amalgam of slogans and insults brandished as a massive weapon for delegitimising minorities. How would you analyse Donald Trump’s slogan in TheApprentice — «You’re Fired»?

Butler: Once again, the speech act presumes that he is the one in power to deny people of their jobs or their positions or their power. So part of what he managed to do is to communicate that sense of power that he delegated to himself. Speech acts such as the one you cite do precisely that. Let us also remember that the anger against cultural elites takes the form of an anger against feminism, against the civil rights movement, against religious tolerance and multiculturalism. All these are figured as «super-egoic» constraints on racist, misogynist, passions. So Trump “liberated” hatred from the social movements and public discourses that condemn racism – wit Trump, one is «free» to hate. He put himself in the position of the one who was willing to risk and survive public condemnation for his racism and sexism. His supporters wish to be shamelessly racist as well, which is why we saw the sudden increase of hate crimes on the street and in public transportation immediately after the election. People were «liberated» to shout their racism as they wish. How then to liberate ourselves from Trump, «the liberator»? […]

Having been accused of lying, Trump defended himself by saying that he practised what he called «truthful hyperbole,» «an innocent form of exaggeration — and a very effective form of promotion.» European media are increasingly using the expression «post-truth politics» to designate the blurring of true and false, reality and fiction that Hannah Arendt described as a property of totalitarianism. In this view, social media have created a new context characterised by the appearance of independent news bubbles, creating a sort of news echo-chamber allowing for the wildest rumours, conspiracy theories and lies to spread. Indeed, it is inaccessible to media fact checking. During his campaign Trump was able to address his little republics of resentment via Twitter and Facebook, and federate them into an over-excited «wave.» What do you think of this concept of «post-truth politics»?

Somehow I cannot believe that those are Trump’s own words, but someone who is trying to normalize and even applaud his cavalier relation to truth. I am not sure we are in the middle of post-truth. Trump seems to me to attack the truth, and to show that he does not show evidence for his claims or even a logic to what he says. His statements are not utterly arbitrary, but he is willing to change positions at will, bound only to the occasion, his impulse and his efficacity. So for instance, when he said of Hillary Clinton that once he became president, he would «lock her up» that brought cheers from those who hated her; it even allowed them to hate her more. Of course, he does not have the power to «lock her up» and even as President, he does not have the power without a rather lengthy criminal proceeding and the judgment of a court. But at that moment he is above all juridical proceedings, exercising his will as he wishes, and so modeling that form of tyranny that does not really care whether she committed a punishable offense. The evidence so far suggests that she did not. But he is not living in a world of evidence. Similarly, his claim that Clinton would not have won the popular vote if it were not for the millions of illegals who voted for her cannot possibly be substantiated. At that moment, though, he exposes his own narcissistic wound in public, and seeks to de-ratify the popular vote. At the same time, the idea that votes in his favor were ever illegal is radically discounted. On the one hand, it does not matter whether or not he contradicts himself or whether it is obvious that he rejects only those conclusions that diminish his power or popularity. Both the brazen and wounded narcissism and the refusal to submit to evidence and logic make him all the more popular. He lives above the law, and that is where many of his supporters also want to live. […]

> read more about a «reality TV character breaking through onto the political stage … allowing for an identification with someone who breaks the rules, does what he wants, makes money, gets sex when and where he wants it. The vulgarity fills the screen, as it wishes to fill the world» … excitable and racist speech … performative theories of assemblies … Foucault’s agora … > here

Linktipp: Torsten Flühs Blog zum Elberskirchen-Hirschfeld-Haus Berlin

Aus der Redatkion

Ursprünglich veröffentlicht im Gender-Blog der Zeitschrift für Medienwissenschaft.

Linktipp: Blogeintrag zum Kolloquium über das > Elberskirchen-Hirschfeld-Haus von Queer Nations Berlin von Torsten Flüh:

«Beim Miesmuschelessen sagt der 60jährige, schwule Handwerkerfreund, dass er nicht die kleinen, sondern die großen, fetten Miesmuscheln wolle und Trump gut finde. Am Ende des Abendessens nach dem Kolloquium am Tag zuvor zum Elberskirchen-Hirschfeld-Haus der Initiative Queer Nations e.V. im Berliner Abgeordnetenhaus und nach der Formulierung, dass ‹die Nackten auf den Wagen beim CSD den Schwulen gar nicht helfen›, ist klar: Vollbild schwuler AfD-Wähler. Es war definitiv das letzte Abendessen mit dem Mann. Berlin und die Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland brauchen das Elberskirchen-Hirschfeld-Haus, damit schwule Jugendliche in Dithmarschen und Transmenschen in Kiel ihren Müttern sagen können, dass sie keine Opfer sind…

Das Kolloquium Elberskirchen-Hirschfeld-Haus – Ein queerer Leuchtturm für Berlin fand am 16. Dezember im Berliner Abgeordnetenhaus unter der Leitung von Andreas Krüger, Sabine Balke und Jan Feddersen statt. Es war ein weiterer Meilenstein in der Arbeit der Initiative Queer Nations e.V., die sich 2005 in Berlin zusammengefunden hat, ‹um eine Bundesstiftung für die Förderung wissenschaftlicher und politischer Debatten über LSBTI*-Themen ins Leben zu rufen› und ‹einen Ort für diese Debatten in Berlin zu schaffen.›»

Mit einem Kommentar zu ZEIT-Autor Jens Jessen, der im Berliner Koalitionsvertrag das Kürzel LGTBQI (lesbian, gay, transsexual. bisexual, queer, intersexual) gelesen hat und diesem „missionarischen Eifer“ und „Weltfremdheit“ in Art der „Mission einer Sekte“ vorwirft. 1 Flüh: «Er hat ganz offensichtlich nicht den Konnex zwischen homophobem Diskurs der AfD und einer engagierten Zivilgesellschaft erkannt. Was Herr Jessen mit der Verve des Feuilleton-Kommentators fordert, läuft darauf hinaus, dass die LSBTTIQ* doch bitte sehr in der Opferrolle bleiben mögen.»


1. Jens Jessen: Mission einer Sekte. Zur Ideologie des rot-rot-grünen Koalitionsvertrags in Berlin, in: DIE ZEIT, 29.12.2016, 41

Imagine another topology! Zu «time to sync or swim» von Katrin Mayer & Eske Schlüters

Von Jana Seehusen

Ursprünglich veröffentlicht im Gender-Blog der Zeitschrift für Medienwissenschaft.

(Abb. 1)

 

Otherkin: Das sind die nicht-so-Verwandten, die von einer anderen Art. Nicht «die Anderen» als eine von der hegemonialen Kultur bezeichnete einheitliche Gruppe, sondern selbst viele andere, vielleicht Wesen, die ‹transethnisch› im Körper einer fremden Spezies leben. Die unter diesem Label auf Social Media-Plattformen wie Tumblr zirkulierende subkulturelle Jugendbewegung trifft in der Ausstellung time to sync or swim (Kunsthalle Lingen, 25.6.- 21.8.2016) auf Orlando: Zusammen mit diesem/dieser Protagonisten/in der gleichnamigen fiktionalen Biografie von Virginia Woolf (1928) stehen in der Installation von Katrin Mayer und Eske Schlüters narrative identity und doing gender als Praktiken im Digitalen zur Disposition.

Orlando, die mindestens zwei Geschlechter und vier Jahrhunderte erlebt, und die postanthropozentrischen Selbsterzählungen der Otherkins, die neben der Identifikation mit anderen Wesen, Tieren, Pflanzen oder Dingen eine hohe Ausdifferenzierung sexueller Orientierungen aufweisen, werden in time to sync or swim in einem assoziationsreichen und allegorischen Beziehungsgeflecht visuell und akustisch erlebbar. Dabei handelt es sich weniger um einen immersiven Erlebnisraum noch um eine repräsentative Darstellung des Otherkin-Phänomens oder eine Nacherzählung von Orlando. Vielmehr entwerfen die Künstlerinnen im Arbeiten in und mit dem Raum ein ebenso vielteiliges wie fragmentarisches Setting, das alle möglichen Materialien, Dinge, Zitate und Medien umgreift und darin ganz verschiedene Arten und Weisen des (Selbst)Erzählens aufeinandertreffen lässt.

(Abb. 2)

Verführt von einer Stimme tauchen die Besucher_innen in die fragmentarische Erzählung ein, einer Stimme, der man sich, sobald man die Funkkopfhörer einmal aufgesetzt hat, kaum mehr zu entziehen vermag. Zunächst führt sie – mit «Hello dear, hi there»1 touristische Führungen anzitierend – in time to sync or swim ein, geht mit «I’m staying here right now – with you – » direkt zum Du über und suggeriert ab da mit Sätzen wie «As  –  I talk  –  I feel  –  ‹I am you›» in wiederholt persönlicher Anrede eine Vertrautheit, durch die sich die Stimme als ein (sich) erzählendes ‹Ich›, als ein vermeintlich authentisches Gegenüber aufdrängt. Hier greift das Phänomen ASMR (Autonomous Sensory Meridian Response), das seit einigen Jahren als methodisches Verfahren zur Bewusstseinstimulation auf Youtube zirkuliert. Zwischen Geräuschen wie Rascheln, Knistern, Kratzen oder Pusten und stimmlichen Modulationen, wie sie auch in geführten Meditationen zum Einsatz kommen, fragt mich die Stimme bald von rechts, bald von links, mich umkreisend: «Who am I? What am I? What is the ‹I›?» Als wäre ihr «I» eine Versammlung verschiedener Bewusstseinszustände wechselt die Stimme fortan zwischen direkter, indirekter und erlebter Rede unvermittelt die Erzählperspektiven, zwischen Objekt und Subjekt, Ich, Du und Es im Erzählen schwankend. Bewusstseinstriggernd, gleich einem «headmate», wird mir so die aus dem schnurlosen Kopfhörer kommende Stimme zur Gefährtin. Zwar kommt sie nicht aus meinem Kopf, aber nah am Ohr teilen sie und ich das gleiche räumliche Feld, in dem sich das ‹Ich› als ein Empfindungs- und Erfahrungskomplex von variabler Zusammensetzung mit time to sync or swim multiperspektivisch auffächert. «Everything is partly something else»?

(Abb. 3)

Ausgehend von verschiedenen Praktiken des Erzählens, an denen eine Vielzahl von Metaphern, Mikronarrativen, Bildern und oder Techniken parallel teilhaben, konzipieren Mayer und Schlüters time to sync or swim als eine poetologische Probebühne, in die sie die Betrachter_innen aktiv einbinden. Mit der Aufteilung in eine «akustisch-binaurale sowie eine installativ-materielle ‹Spur›»2 laden sie die Besucher_innen nicht nur explizit ein, Beziehungen und Überlagerungen zwischen den Wahrnehmungsebenen im Sehen, Hören und Tasten sowohl mental als auch körperlich herzustellen. Mit der Hörspur provozieren sie zugleich ein fortlaufendes Dissoziieren zwischen Visuellen und Verbalen, das durchaus auch eine unheimliche Seite hat, wie Hanne Loreck in ihrer Ausstellungsbesprechung schreibt, wenn ob der Dissoziation von visuellem und akustischem Raum «innen, ‹im Kopf›, ein Außen entsteht»3 und die traditionellen Oppositionen aufhebt. Dieses Aufheben von Trennungen greift, wenngleich ins Spielerische gewendet, auch zwischen Werk und Betrachter_innen, wenn diese die auf einem Podest dargebotene intelligente Knete verformen oder mit kinetischem Sand experimentiert wird. Mit ähnlicher Wirkung greift eine Art ‹Cutting Together-Apart› (Karen Barad 2014) in der Vermischung von Faktischem und Fiktiven im Erzählen, in dem Versatzstücke aus Internetpost von Otherkins mit Zitat-Fragmenten aus dem Roman Orlando und vielen anderen Quellen verwebt werden. Fragmentierung und Multiplizierung als verbindende (identitätsstiftende) Figur?

Wir hören «Our journeys take us back into the heart of matter itself, down to the depth of matter» und sehen in der begehbaren Installation drapierte, gefaltete und gelochte Stoffe neben bedruckten großformatigen Papierfahnen neben frei hängenden Spiegel-Objekten und raffiniert gefalteten Kragen-Objekten. Zusammengedacht mit der Referenz Orlando erinnern diese Kragen-Objekte, von denen eines aus schwarzem Tüll, eines aus schwarzem Taft und eines aus hellem Filz gemacht ist, möglicherweise an den Film «Orlando» (Sally Potter, GB/F/I/NL/RU 1992) und versetzen uns kurzerhand ins Elisabethanische Zeitalter, in dem dieserart Kragen als modisches Accessoire gleichermaßen von Männern und Frauen getragen wurden. Wer allerdings weder den Roman noch die Verfilmung kennt, assoziiert vielleicht nur geschlechtsneutrale Kostümierungen oder liest die Versammlung verschiedener Würfe und Faltungen der allesamt in schwarz-weiß gehaltenen Stoffe und Materialien zusammen mit der sinnlichen Stimme als Fetisch-Objekte. In einer wiederum gewendeten Perspektive auf das Material und sein Arrangement erscheinen die Faltungen selbst als eine endlose Folge von Achten und geben zeichenhaft Hinweis auf möbiusbandartige Verschlaufungen, deren ‹nicht-orientierbarer› Charakter die Aufhebung einer Trennung von Figur und Grund symbolisiert, ein Motiv, dass an anderer Stelle im Parcours mit einem Hologramm der Kleinschen Flasche wiederkehrt. Die Erzählungen von Stimme und Objekten fordern andauernd zum Perspektivwechsel auf, der durch die eigene Bewegung im Raum auch zum Ortswechsel wird, sowohl meiner selbst als auch der in Bewegung gebrachten sprachlichen und visuellen Codes. «Try to imagine another topology!»

(Abb. 4)

Die einer_einem Otherkin entlehnte Stimme flüstert mir postanthropozentrisch ins Ohr: «I’m a green-eyed person, part tree, part mountain, part river, part sun.» Otherkin und Orlando teilen das Bewusstsein einer multiplen Erfahrung, die sich in der Auffächerung des Erzählens spiegelt. In Orlando zeigt sich diese u.a. im Selbstgespräch während einer Autofahrt am 11. Oktober 1928: «… nach ihrem Reden zu schließen, wechselte sie ihre Ichs nicht weniger schnell als sie das Auto fuhr, – es kam ein neues bei jeder Biegung».4 Mit jedem Satz bringt Orlandos Monolog ein neues Ich hervor, in «(schätzungsweise) siebenundsechzig verschiedenen Zeiten, die alle auf einmal im Geist ticken».5 Knapp 90 Jahre später findet sich die Idee multipler Identitäten bei Otherkins in Form sogenannter ‹headmates›, die in praktisch unbegrenzter Anzahl zu verschiedenen Zeitpunkten die Kontrolle über einen Körper übernehmen können. «I am you –  as I talk I feel  –  I am … such-and-such … XYZ,  I am other kind, kin to the other.» Als Sammelbegriff markiert Otherkin eine Verwandtschaftszugehörigkeit (‹kinship›) zu Tieren, Pflanzen oder fabelhaften Wesen, die nicht bzw. anders (‹other›) als Menschen sind. Anfänge des Otherkin-Konzeptes reichen zurück in die 1960er Jahre, als Gruppen von Menschen begannen, sich mit Fabelwesen zu identifizieren und als Elfen (‹elfenkind›) zu bezeichnen. Doch insbesondere mit dem Entstehen der Blogging-Plattform Tumblr um 2000 kam es zu einer entscheidenden Veränderung des Otherkin-Konzeptes: «Eine neue Generation von Otherkin eignete sich die akademische Sprache von Identitätspolitik und Social-Justice-Activism an, die auch sonst für Tumblr typisch ist.»6 Mit seiner Analyse von Tumblr-Blogs zeichnet Martin Beck in seinem philosophisch und kunst-/ kulturwissenschaftlich orientierten Essay «Postanthropologische Habitate: Otherkin, Digitalisierung, Pubertät» das sich wandelnde Selbstverständnis der Otherkins nach und zeigt, wie verschiedene sprachliche Register sich mit Vorstellungsbildern im Imaginären potentiell überlagern und so gleichzeitig am narrating identity und doing gender im gegenwärtigen Otherkin-Konzept teilhaben. Als eine gesellschaftlich marginalisierte, semi-politische Identitätsgruppe fließt beispielsweise das von Judith Butler etablierte Konzept einer performativen Konstruiertheit von Gender und Geschlecht7 in die Selbsterzählung ebenso mit ein wie möglicherweise ein identitätspolitisches Narrativ der/des Transsexuellen, das sich im Otherkin zugleich nicht selten mit global zirkulierenden fiktiven Figuren wie beispielsweise Manga-Charakteren kurzschließt. Orlando ein Otherkin? Mein ‹headmate› fragt prompt «Can I be a fictional character?»

(Abb. 5)

Mit Orlando entwirft Virginia Woolf schon früh eine Subjektvorstellung, in der Geschlecht als eine gesellschaftlich determinierte Rolle entlarvt wird, ein erzählerisches Spiel, in dem sowohl ‹Mann› und ‹Frau› als auch ‹Androgyn› als überflüssige Manöver markiert werden: «My gender is yes. Except when it’s no. Either way, it’s not male or female.» Ist es ein unbegriffener Rest? Die soziokulturelle Relevanz geschlechtlicher Zuordnung wird dabei ebenso ersichtlich  wie die Möglichkeit eines performativen Ausprobierens der aufgegriffenen Rollenklischees. Orlando ist konzipiert als ein fluides Subjekt, und so sind seine_ihre Geschlechtswechsel «‹etwas Unaufhörliches›, und vielleicht ‹hörte der Wechsel nie auf›. Denn das Geschlecht gehört jetzt nicht mehr ihr. Es gehört der Zeit.» (Eva Meyer)8 Ebenso wie Otherkins sich schreibend als fluide, im Übergang begriffen entwerfen, ist auch die Figur Orlando als Subjekt eine sprachlich verfasste, semantisch fluide Spur. Genderfluid, hören wir in time to sync or swim die Stimme sagen. Genderfluid markiert geschlechtstheoretisch einen fortlaufenden Übergang von female zu male zu female usf. und entwirft das Ich als «Versammlungsort von Ungleichem».9 «I am trigender, non-binary, galaxygender. It’s a gender I made up. It’s hard to describe I think …» Subjektsein wird in dieser Art gegenderter Virtualität zur Aktualität und ob seiner Ambiguität als widerständig erfahrbar – oszillierend zwischen ‹I› und ‹you› als Otherkin in time to sync or swim. So gesehen könnten wir es mit Rosi Braidottis «idea of subjectivity as an assemblage» zukünftig mit einem Subjekt zu tun bekommen, das, wie Hanne Loreck hervorhebt, «eines des Feminismus ist, ein prozessuales, das Andere des Anderen und nicht länger ‹die Frau›».10

Mit Aufforderungen wie «Try to imagine another Topology!» entwerfen Mayer und Schlüters in ihrer künstlerisch-kuratorischen Praxis eine Möglichkeit, sich Anderem und Fremdem zu nähern. Es ist eine Haltung des ‹parler tout contre›, so wie es die Literatin und Filmemacherin Assia Djebar einmal beschrieb: «Sich nicht anmaßen, ‹für› oder – noch schlimmer – ‹über› Frauen zu sprechen, bestenfalls neben und, wenn irgend möglich, dicht neben ihnen.»11 Das Hörstück Trigger Layered Soundscape (26 min.), die Wahrnehmung leitender Teil von sync or swim, führt dies aus als eine vielschichtige Collage von Textversatzstücken aller Genres, Jahrhunderte querend, durchbrochen von Geräuschen aller Art. Ob in diesem polyphonen Erzählen etwas wahr oder falsch, faktisch oder ausgedacht ist, spielt letztlich keine Rolle. Denn jedwede Wertung ist von Konventionen abhängig, das Erzählen als Handeln jedoch generiert (s)eine eigene Handlungswirklichkeit. Erzählen ist immer zugleich ‹making› und ‹doing›. Ebenso wie im Erzählen gleichermaßen ein kulturelles Wissen, eine Ordnung der Dinge sowie intersubjektive Beziehungen hervorgebracht werden, öffnet «Erzählen als Zwischengeschehen»12 Identität und Gender und stabilisiert es möglicherweise intersubjektiv. In den Blogs der Social Media-Plattformen zeigt sich Erzählen als ein geteiltes doing gender, ein unaufhörliches doing identity.

(Abb. 6)

Die Künstlerinnen ließen mit der Einladung zur Ausstellung time to sync or swim ein GIF zirkulieren. Entgegen fixierenden Klassifizierungen wie «Headcanons» oder Listenprofilen bei Facebook13 ändert die dreiteilige Animation aus Gendersymbolen14 fortwährend die binären Zeichen für male & female ab und überträgt normierende Geschlechtskategorisierungen in ein visuelles Spiel. In trans_Formation befindlich, triggert es alternative Subjektvorstellungen. Zugleich schillert darin als mögliche Formation eines Anderswerdens (‹becoming›) ein Begehren, das Thomas Meinecke in seinem neusten Roman Selbst (2016) als «BETWEEN THE NO LONGER AND THE NOT YET» bestimmt. Diese Vorstellung appelliert, topologisch gewendet, an ein Denken in Übergängen, in Korrespondenzen statt in Oppositionen, hineingeworfen in time to sync or swim: «Memory is the seamstress, and a capricious one of that.»

(Abb. 7)

Nachsatz: Wer seinen eigenen Assoziationen zwischen Otherkin und Orlando begegnen möchte, kann dies derzeit im Heidelberger Kunstverein im Rahmen der Ausstellung fühle meinen körper sich von meinem körper entfernen tun: Katrin Meyer, Eske Schlüters, time to sync or swim und Martin Beck, Postanthropologische Habitate I: love knows no concept of dimension [eine Auswahl visueller und textueller Internet-Posts aus dem Kontext von Otherkin, Memes und Fails, die digitalisierte Körperlichkeiten verhandeln – Ergebnis endloser Streifzüge durch Blogs und Plattformen wie Tumblr, 9gag, Imgur, 4chan.] und ders., Postanthropologische Habitate II: Otherkin, Digitalisierung, Pubertät. Drei Skizzen zu Krisen der Verkörperung [ein Essay aus dem Jahr 2016 als Ausdruck] sind vom 3.12.16 bis 26.02.17 im Heidelberger Kunstverein im Rahmen der Ausstellung fühle meinen körper sich von meinem körper entfernen zu hören und sehen (eine Ausstellung von a production e. V. mit Martin Beck, Joerg Franzbecker, Heiko Karn, Christine Lemke, Hanne Loreck, Katrin Mayer, Gitte Villesen und Gästen).

«video essay»
Who is writing the Script? Let yourself be triggered by the materials!
—> LISTEN WITH HEADPHONES: https://vimeo.com/178442516 [password: orlando]

Abbildungen:
Abb. 1 = GIF: Katrin Mayer, Eske Schlüters, time to sync or swim, GIF in Zusammenarbeit mit Matthias Grottendieck, 2016.
Abb. 2, 3, 4, 7: Ausstellungsansichten von: Katrin Mayer, Eske Schlüters, time to sync or swim, Kunsthalle Lingen 2016, Fotos: Heiko Karn.
Abb. 5: Katrin Mayer, Eske Schlüters, time to sync or swim (Poster in der Ausstellung) 2016.
Abb. 6, 7: Katrin Mayer, Eske Schlüters, time to sync or swim (Production Still) 2016.

Der Weiße Mann [Trump]: Ein ‹leeres› Konzept von politischem Gewicht

Von Marie-Luise Angerer

Ursprünglich veröffentlicht im Gender-Blog der Zeitschrift für Medienwissenschaft.

Der Weiße Mann schlägt sich auf die Brust – im Perlentaucher von 10.11.2016 werden Hans Ulrich Gumbrecht, Andreas Rosenfelder und Mathias Döpfner verlinkt, die unisono artikulieren: Wir, die Intellektuellen, hätten die anderen nicht ernst genommen, hätten uns in unserer Realitätsferne und -fremdheit allzu lange nicht um die Realität geschert, um das, was wirklich ist und damit auch wirklich zählt (das gleiche sagt auch Judith Butler in der SZ unter dem Titel Wer sind sie?, 10.11.16, S. 13). Nun hat man jedoch diesem weißesten aller weißen Männer, Trump, gerade jedoch von diesen, uns, Intellektuellen unterstellt, sich um diese Wirklichkeit explizit nicht zu kümmern, sondern – «postfaktisch», wie das neue Schlagwort heißt – Wirklichkeiten nur dann gelten zu lassen, wenn sie gefühlte Realität sind. Sascha Lobo beschrieb diesen Übergang am Tag der Trump-Wahl als einen von Rationalitätsmedien hin zu Gefühlsmedien.

Der Weiße Mann – dieses leere Konzept – hat mit/als/durch Trump zurückgeschlagen (Trump steht – so die Analysen einheitlich –  für den arbeitslosen, nicht gebildeten, sich als abgehängt fühlenden weißen Mann), der gebildete, intellektuelle, reiche weiße Mann schlägt auch (aber eben nur sich auf die Brust).

Verloren aber hätten doch eigentlich die Frauen, so Hannah Lühmann. Warum denn nur hätte Clinton keinen feministischen Wahlkampf geführt, so ihre Frage. Butler, in dem oben zitierten Artikel, hat darauf schon geantwortet: Clinton stehe nicht nur für die US-Polit-Elite und für die Wall Street, sondern auch für die reiche, gebildete Frau und für Obama, für die Schwarzen. Und dies alles zusammen hätte den Hass auf sie ins schier Unermessliche gesteigert. Keine Frau wie Hillary Clinton, so der allgemeine Tenor kurz nach der Wahl, wäre jedoch besser für das Amt der Präsidentin aufgestellt gewesen, keine hätte es politisch besser übernehmen können, aber es reichte nicht. Einem politisch völlig unerfahrenen Mann wird dies nun überantwortet, der nicht die leisesten Skrupel dabei zu haben scheint  – aber darum geht es ja nicht.

53% der weißen Frauen haben für Trump gestimmt und einmal mehr bestätigt, dass ‹je sexistischer umso besser› effektiv sein kann (im Fall von Dominique Strauss-Kahn verlief es etwas anders als in den USA). Bei der Party von Trump feierten nicht nur dicke, alte, weiße Männer, sondern auch viele andere, millionenschwere (SZ, 10.11.16, S. 3). Über die Zusammenhänge von gender, race und class wird weiter zu analysieren und zu reden sein.

Der Vergleich mit dem Hype um Denver Clan und Dallas, d e n  TV-Serien der 1980er Jahre, der sich einem unwillkürlich aufdrängt angesichts der Bilder und Inszenierungen, hatte damals viele Cultural Studies-VertreterInnen zur Frage gedrängt, was denn eine zunehmend globaler werdende Welt mit diesen Bildern und ihrem Begehren wirklich mache? Warum, so fragten sich damals John Fiske und viele andere, begeistern sich derart unterschiedliche Menschen weltweit an diesen TV-Serien, was vermittelten diese nicht nur über den sogen. US-amerikanischen Traum, sondern dieser den anderen, den in diesem Traum nicht Mitgeträumten?

Und nun erscheint zufälligerweise an diesem Tag der Trump-Wahl ein Artikel in der FAZ von Magnus Klaue, in dem erklärt wird, was man immer schon hätte wissen können, von wem die Gefahr für den weißen Mann ausgehe: Man ahnt es, ja, tatsächlich, von den übrig gebliebenen Ideologien der Alt-68ern und ihrem Fortleben in der Genderforschung! Hätte man nämlich über die Jahre beobachtet, was sich im Übergang von der Frauen- und Geschlechterforschung zu den Gender Studies ereignet hat, hätte man das Weltausmaß dieser Transition, möchte man fast hinzufügen, möglicherweise vorhersehen können.
Die Gender Studies hätten nämlich eine blinde Klassifizierungswut eingeführt, der zufolge alles Weiße, Heterosexuelle und Männliche aus dem Kanon von Literatur auszuschließen wäre. Es käme diesen Vertreterinnen (natürlich ausschließlich Frauen) nicht in den Sinn, dass auch schwule Männer chauvinistische Texte schreiben könn(t)en oder bürgerliche Männer unbürgerliche … Den Gender Studies, so wörtlich, gehe es nicht «um Verständnis ihrer Gegenstände, sondern um deren Subsumption unter leere Allgemeinbegriffe. Goethe und Voltaire können dann nichts sein als Repräsentanten weißen, christlichen Mannseins, denen Ellison als afroamerikanische und Mishima als fernöstliche Inkarnation gegenüberzustellen sind».

In den 1990er Jahren waren es noch nicht die Gender Studies, die diese Re-Kanonisierung vorantrieben, damals fingen die Cultural Studies an, den Kanon der westlichen Welt zu attackieren, indem sie Goethe, Shakespeare und andere Größen als nicht die einzigen am Literaturhimmel gelten ließen, sondern Namen zitierten (und eben auch Dallas und den Denver Clan ernst nahmen), die der Weiße Mann bis dato noch nie gehört hatte, geschweige denn richtig auszusprechen wusste oder sich merken konnte. Die Cultural Studies in Großbritannien und in den USA haben am Kanon der bürgerlichen Wissenschaften heftig gerüttelt, mit ihnen gemeinsam die Gender Studies, die das Mantra der CS, race, class  und gender, auf ihre Weise ein- und weiterführten. Diese polit-theoretischen Bewegungen haben das Denken der Differenz, die Beachtung von Minderheiten, die sprachliche Sensibilisierung sowie das Bewußtsein, dass jede Wissensproduktion kontextgebunden (situated knowledge) ist, in viele gesellschaftlichen Bereiche eingeschrieben. Dass politische Prozesse und Theoriebildungen weder kongruente Entwicklungen sind noch sein können, muss an dieser Stelle nicht betont werden.

Political Correctness, das hat Trump nun jedoch klar gezeigt, bringt nichts, im Gegenteil, diese zu ignorieren, zu missachten, sie lächerlich zu machen, befreit – politisch auf jeden Fall.

Der hier zitierte Kritiker der Gender Studies und ihren für den weißen Mann so gefährlichen Subsumptionen unter leere Allgemeinbegriffe hat mich jedoch an diesem Tag der Trump-Wahl daran erinnert, dass er recht hat, es sind tatsächlich leere Begriffe, wenn auch diese Leere völlig anders zu verstehen ist: Ich musste nämlich an das leere Konzept MANN, wie es Jacques Lacan in seinen Ausführungen zu ‹männlich und weiblich› eingeführt hat, denken, daran, wie dieses in den Cultural und Feminist Studies der 1980/90er Jahre viele Debatten stimuliert hat.

Teresa de Lauretis hat in dieser Perspektive WOMAN mit Großbuchstaben durchgestrichen und stattdessen viele Frauen (women) gesetzt und betont, dass es das Konzept FRAU nicht gäbe, sehr wohl jedoch viele, andere Frauen je nach race, class, religion, age, dis/ability, queer……. doch was die Seite ‹männlich› betrifft, die Lacan als schiefe oder schräge zu der Seite ‹weiblich› setzte, sieht es geradezu umgekehrt aus: Ein Konzept MANN, was bei Lacan klarerweise der universal gefasste Weiße MANN ist, gibt es um den Preis der konkreten Männer. Männlich hieße vielmehr, sich schwindelnd (schwindelerregend) stets in der Position des ‹Alle-zu-repräsentieren› halten, während weiblich das ‹nicht-alle› maskiere, verschleiere. Betont sei hier, dass es sich dabei nicht um Männer und Frauen handelt, sondern um psychische Strategien, mit dem originären Mangel (der Subjektivierung) umzugehen.

Neben de Lauretis war es insbesondere Joan Copjec, die dieses Verhältnis nicht nur als Beziehung von ‹weiblich-männlich› durchdeklinierte, sondern ganz spezifisch auf Amerika übertragen hat. In Read My Desire (1994) (dt.: Lies mein Begehren, 2004) bezeichnet sie Amerika als hysterisch. Hysterisch ist nun jedoch die Grundposition eines jeden Subjekts (in der Lacanschen Psychoanalyse) – egal ob männlich oder weiblich. Also 1994 schrieb Copjec (diese Lacansche Formel aufgreifend): One elects a master who is demonstrably fallible – even, in some cases, incompetent. What may first appear to be a stumbling block turns out on closer inspection to be a solution: Americans love their masters not simply in spite of their frailties but because of them.

OK, dies war mit Blick auf das Amerika eines Ronald Reagan analysiert. Doch dann heißt es dort aber weiter: Dass diese Besonderheit der Amerikaner zu ihrem Präsidenten (master) eine sei, die für Demokratie als solche gelte (democracy as such). «Democrazy hystericizes the subject.» Und nochmals weiter: Differenz und der Andere (dieser berühmt-berüchtigte Andere groß A von Lacan) wären in den USA jedoch andere Größen, würden anders gelebt. Dieser Andere, auch wenn man ihn als Master akzeptierte, irgendwie, würde vor allem einen «narcissism of small individualism» gewähren, «that fuels that single-minded and dangerous defense of difference that so totally isolates us from our neighbors.» Und noch viel mehr, dieser Andere besitzt nicht, was wir (Amerikaner) wollen, «nothing to validate our existence».

Man entschuldige mir diese hanebücherne Kurzfassung und Zuspitzung, sie ist auch meinem Erstaunen geschuldet, in diesem Text etwas plötzlich zu lesen, was ich damals, beim ersten und wederholten Lesen nicht sehen konnte: Trump als «the Other of the Other» zeigte sich hier bereits mehr als deutlich. Dass diese psychoanalytische Analyse des Amerikas von Reagan bis in kleinste Detail auf die aktuelle Situation sich übertragen lässt, wo nämlich Demokratie, als das, was nicht zu viel intervenieren sollte, nun unmissverständlich zurückgedrängt wird, als etwas, was stört. «In America it is assumed that the law of democrazy is one that withdraws […] intervenes as little as possible in order to allow the individuality of each subject to flourish unhampered.»

Daher kann die Aussage von Jakob Augstein unter dem ersten Schock der Wahl als richtig befunden werden: Das Ende des Westens, des Liberalismus, das Ende der Demokratie hat sich in der Person des Faschisten Trump angekündigt, so Augstein – nicht jedoch das des Weißen Mannes, dieser Witzfigur, wie es bei Augstein heißt, ja, Witzfigur, aber besessen, den Anderen in seiner Andersheit zu ignorieren, zu vertreiben, auszulöschen. Sie alle, die weißen Männer, sind vereint im Schwindel WEISSER MANN (Erdogan, Putin, Marine Len Pen, Petry, Strache &Co., Orban) im Betrug, «Alle-zu-sein».

Während die weibliche Seite, wissend, nicht „alle zu sein“ sich nicht unter ein Konzept FRAU oder was auch immer subsumieren lässt, auch um den Preis ihrer Wahl (trotz mehr Stimmen, wie im Falle von Hillary Clinton).

**
Nachtrag: 

Paula-Irene Villa, Die Rückkehr männlicher Härte, in: Deutschlandradio Kultur, 4.4.2017
Judith Butler im Interview: Trump, fascism, and the construction of «the people», in: Verso Books‘ Blog, von Christian Salmon, 29.12.2016
Study: racism and sexism predict support for Trump much more than economic dissatisfaction, Bericht von German Lopez, in: vox.com, 4.1.2017
Jacqueline Rose, Donald Trump’s victory is a disaster for modern masculinity, in: The Guardian, 15.11.2017
Rosi Braidotti, «Don’t agonize, organize!», in: e-flux, 17.11.2016
Vito Laterza, Louis Philippe Römer, The myth of Donald Trump’s white working-class support, in: Africa is a country, 17.11.2016
Zoe Williams, The dangerous fantasy behind Donald Trump’s normalisation, in: The Guardian, 15.11.2016

The Greatest Schnuck of All. Über Väter und Töchter im Film «Toni Erdmann»

Von Andrea Seier

Ursprünglich veröffentlicht im Gender-Blog der Zeitschrift für Medienwissenschaft.

 

Im Kino gewesen, gelacht. Und auch manchmal fast geweint. Über Mrs Schnuck und Toni Ördman, über 68er und ihre Kinder, über Väter und Töchter und über Käsereiben, die zwischen ihnen stehen, ohne als Reibungsfläche zu taugen.

Maren Ades toller Film1 lässt mit Ines und Toni nicht nur Generationen und Geschlechter aufeinandertreffen, sondern, damit eng verknüpft, männliches Individuum und weibliches Dividuum. Und dieses Aufeinandertreffen ist nicht nur klug arrangiert, es gibt auch Anlass zum Nachdenken. Allerdings weniger über die Abgründe, die sich zwischen Vätern und Töchtern oder zwischen Musiklehrern und Unternehmensberaterinnen auftun, als über die Frage, warum der Film – seinem Titel entsprechend – den Vater und Musiklehrer ins Zentrum rückt, anstatt die Tochter und Unternehmensberaterin. Mich hätte Whitney Schnuck (noch) mehr interessiert als Toni Erdmann, und das nicht nur aus geschlechterpolitischen Gründen. Auch aus purer Neugier, denn in meiner Wahrnehmung wird der unentschlossenen Empfängerin der Käsereibe und ihrer Sicht der Dinge ganz generell im Kino immer noch weniger Aufmerksamkeit geschenkt als dem hilflosen Überbringer der Käsereibe. Es geht bei diesem Argument ja nicht um die Frage, wieviel männliche und weibliche Figuren in Filmen vorkommen, sondern um die Sicht- und Wahrnehmungsweisen. Wäre die Perspektive der Tochter nicht viel interessanter, zeitgemäßer gewesen als die des Vaters? Warum wird hier mein Blick auf die Tochter so stark durch die Linse des Vaters gezogen? In einem anderen tollen Film von Maren Ade mit dem Titel «Alle Anderen» gibt es dieses Problem nicht, warum hier? Diese Frage hat mich im Kino umgetrieben. Und in vielen Gesprächen nach und über den Film wurde ich immer wieder darauf hingewiesen, dass ja alle etwas anderes in ihm sehen, je nach Alter, Familiengefüge, Geschlecht. Das mache ihn aus. Das stimmt, ist mir als Antwort aber zu unbefriedigend. Wofür gibt es denn Gesellschafts- und Gendertheorien überhaupt noch? Doch nicht dafür, um zu argumentieren, dass wir alle ohnehin etwas anderes in Filmen sehen.

Mir fällt ein, dass das Thema des Films Toni Erdmann in Kurzform auch in einem Song von Peter Licht festgehalten ist, hier allerdings aus der Perspektive des Sohnes: «Ihr lieben 68er», heißt es da, «Ihr könnt machen was ihr wollt, Ihr habt Euch ja befreit. Aber bitte ruft uns nicht an.» Der nölig-trotzige Song endet nach einigen Beschwerden über die befreiten 68er mit der überraschenden Zeile: «Vielleicht rufen wir an».  Und das Tolle an Toni Erdmann ist, dass auch er dieses Changieren zwischen «Bitte ruft uns nicht an» und «Vielleicht rufen wir an» durchspielt, in vielen Feinheiten, ereignishaft und ergebnisoffen. Meines Erachtens ist aber auch auffällig, dass er praktisch die umgekehrte Perspektive einnimmt und uns einlädt, den Blick des 68-Vaters auf die Business-Tochter zu werfen. Und das stört das Vergnügen an dem in vieler Hinsicht sehr genauen und dramaturgisch mutigen Film.

Die umwerfend gute Sandra Hüller spielt die beruflich erfolgreiche Tochter Ines, die von ihrem Vater überraschend Besuch bekommt, und das ist viel zu harmlos ausgedrückt. Ines’ Vater dringt als selbst erdachte Kunstfigur Toni Erdmann gewaltsam in den Business-Alltag der Tochter ein, was in nicht besonders wahrscheinlichen, dafür aber umso toller ausgedachten und mit filmischen Konventionen klug arbeitenden Szenen erzählt wird. Im Kino wird viel gelacht über Toni Erdmann und der Humor wird in vielen Rezensionen (epd, FAZ, WELT, Cargo, oder zur Oscar-Nominierung im Spiegel) als hintergründig, bedacht und verspielt eingestuft. Zu Recht.

Und dennoch drängt sich immer wieder die Kapitalisierung der sogenannten Menschlichkeit auf, die der Film zwischen Vater und Tochter zugunsten des Vaters verteilt. Die Tochter ist ein vom beruflichen Erfolg korrumpiertes Dividuum, sie ist selbst so besessen von Leistung und Erfolg, von Disziplin und Selbstführung, dass sie keine äußeren Feinde braucht. «Bist Du überhaupt ein Mensch?», fragt der Vater sie einmal. Und diese Frage würde man ihm noch nicht mal mit Plastikgebiss und Perücke ausgestattet stellen. Er selbst ist nämlich im Unterschied zur Tochter sehr wohl von der Kunstfigur Toni Erdmann zu unterscheiden. Der Tochter ist hingegen die Unterscheidung zwischen Selbst- und Fremdregierung kaum vergönnt, obwohl der Film  nie mit platten Thesen operiert, sondern durchweg mit Nuancen und Bewegungen.

Der Film liefert durchaus auch Höhepunkte oder Plateaus im Sinne von Deleuze/Guattari, wie z.B. eine wunderbare Gesangsszene. Das Aufeinandertreffen von Individuum und Dividuum kulminiert in Ines als Whitney Schnuck, beim Empfang der Botschafterin, bei dem Ines’ Vater einen gemeinsamen Auftritt erzwingt. Er spielt Klavier und sie singt Whitney Houstons Song «Greatest Love of All». Szenenapplaus im Kino, für Sandra Hüller und für Maren Ade. (Mir hat eine Kollegin erzählt, dass sie den Song hört, bevor sie wissenschaftliche Vorträge hält, und mir hat diese Strategie sehr eingeleuchtet.)

Die Whitney-Schnuck-Szene ist auch deshalb so toll, weil sie mithilfe des Whitney Houston-Songs nicht nur den Bruch zwischen Vater und Tochter, trotz, oder besser aufgrund, der gemeinsamen Geschichte, sondern auch den fließenden Übergang von der Disziplinar- zur Kontrollgesellschaft so gekonnt ins Bild setzt. Im Houston-Song, den Vater und Tochter vermutlich im familiären setting gemeinsam einstudiert haben, gab es noch ein Außen («they»), gegen das die eigene Würde verteidigt werden konnte und musste: «No matter what they take from me, they can’t take away my dignity» lautet die Zeile, die sich nun mal am besten laut mitschmettern lässt, sei es vor Vorträgen, auf (68er-)Tanzflächen oder, beim Kochen zu Hause.

Das Dividuum kündigt sich allerdings schon an. Es findet die größte Liebe von allen gerade nicht im Gegenüber, sondern in sich selbst: «So I learned to depend on me. I decided long ago never to walk in anyone’s shadows. If I fail, if I succeed, at least I’ll live as I believe.» Nicht mehr nach Helden und Vorbildern suchen, sondern lernen, sich auf sich selbst zu verlassen. Das Gegenüber steht als Erfüllung von Begehren nicht erst Ines (2016), sondern schon Whitney Houston (1986) nicht mehr zur Verfügung. Dieses Problem ist ja von Geschlechterfragen auch nicht ganz abzulösen: «I never found anyone who fulfill my needs, so I learned to depend on me». Hier beginnt nun der mehr oder weniger schleichende Übergang von der emanzipatorischen Selbstbefreiung zum postfordistischen Subjekt der Selbstregierung, der die Frauen, darauf hat u.a. Angela McRobbie hingewiesen, in besonderer Weise betrifft und den Sandra Hüller in sämtlichen Feinheiten anzuspielen weiß. Die «greatest love of all», die Liebe zu sich selbst, die, wie der Song behauptet, nicht nur die wichtigste ist, sondern auch «so easy to achieve», hat sich für Ines nicht nur als Trugschluss herausgestellt – selbst als Fluchtlinie funktioniert sie nicht mehr, obwohl sie – wie in Karaokebars – noch aufflackert. In der Performance von Whitney Schnuck kommt sie für Ines als leise Erinnerung zurück.

Eine andere Schlüsselszene für diese Verschiebung ist die Sexszene zwischen Ines und ihrem Kollegen. Lust und Macht sind auf eine Weise verschlungen, die die Begegnung zwischen den beiden evoziert und verstellt, ohne das dabei der Eindruck entstehen würde, dass es in der Generation der 68er immer schon bessere Alternativen gegeben hätte. Auch eine kluge Szene also, die in keine Falle tappt.

Wie die Sexszene scheint auch die Nacktparty ein Indiz dafür zu sein, dass die Suche nach einem möglichen ‹Ausbrechen› nur sehr schmale und vorgezeichnete Wege kennt, wenn sie nicht als Idee selbst längst obsolet ist. Anti-Ödipus nicht in Sicht. Vervielfältigung der Beziehungen und Wünsche: Fehlanzeige. Das Anderssein und die Abweichung wird hier genauso als Pflichtaufgabe durchgespielt wie das Bedienen der Konventionen, das der Job tagtäglich notwendig macht. Abweichung und Ausbruch werden nicht zuletzt auch als Einpflanzungen des Vaters lesbar, die ihre befreiende Wirkung auch deshalb verfehlen müssen. Ist Whitney Schnuck denn gar nicht zu retten? Mit Nacktparties jedenfalls nicht. Also doch nur mit Toni Erdmann, der zugegebener Weise nicht mehr ganz so menschlich aussieht am Schluss des Films?

Warum hat diese intelligente Frau nicht mehr Distanz zu sich selbst und ihrem Job? Und wenn sie am Ende einen Hauch davon gewinnt, woher kommt sie, wenn nicht vom Vater? Von wem wird ihr der Abstand zu sich selbst vorenthalten? Von der Regisseurin Maren Ade? Oder sind es die Bedingungen ihrer turbokapitalistisch durchdrungenen Existenzweise, die ihr keine Distanz erlauben? Maren Ade zeigt ihren ZuschauerInnen eine Tochter, die wenig bis gar keinen Abstand zu ihrem gewählten Lebensentwurf aufweist. Und ich werde den Eindruck nicht los, dass das, was ihr fehlt, nicht Grundeinkommen ist (nur mal als eine Möglichkeit), sondern am Ende doch vom Vater nahegebracht wird, selbst wenn man alle Brüchigkeit, die mit der Vaterfigur verbunden ist, miteinrechnet. Der Vater bleibt menschlich unter dem Fell. Bei ihm ist das Innen und Außen noch intakt.

Ines kommt hingegen in der filmischen Verteilung von Humankapital› ziemlich schlecht weg. Auch deshalb ist die Whitney Houston-Szene so wichtig. Weil sie im Gesang nicht nur ein «Tier» ist, wie ihr Chef sie mal anerkennend bezeichnet.

Das beruflich erfolgreiche Tochter-Tier macht dem Vater durchaus an vielen Stellen des Films klar, dass sie das Außen, auf das der Vater noch so naiv zugreifen kann, nicht mehr zur Verfügung hat. Bewusst ist ihr dieses Dilemma wohl schon. Machttheoretisch argumentiert der Film hier präzise. Aber heißt dann der Satz aus dem Whitney Houston Song «they can’t take away my dignity» für Ines, dass da gar nichts mehr ist, was man ihr noch nehmen könnte? Kein «they» und erst recht keine «dignity»? Kein Tier Werden, das doch auch ein nicht-menschlich Werden im produktiven Sinne sein könnte?  Ich hätte es ihr so gewünscht. Please, give her a sense of pride, to make it easier … Freiheit für Whitney Schnuck, Freiheit von Unternehmensberatungen UND von der Last der Menschlichkeit!

Dietmar Dath, Jetzt mach mir hier aber mal bitte keine Zähne, in: FAZ, http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/kino/video-filmkritiken/maren-ades-toni-erdmann-im-kino-14337456.html, 13.7.2016
Anke Sterneborg, 24.6.2016, Filmkritik zu Toni Erdmann, https://www.epd-film.de/filmkritiken/toni-erdmann
Hanns-Georg Rodek, Jetzt müssen Sie Toni Erdmann einfach sehen!, in: WELT, 15.7.16, https://www.welt.de/kultur/kino/article157023341/Jetzt-muessen-Sie-Toni-Erdmann-einfach-sehen.html
Ludger Blanke, The Greatest Love Of All, Oder wie Maren Ade das Kino rettet: Toni Erdmann, in: cargo, Nr. 30, S. 9, online http://www.cargo-film.de/thema-reihe/berliner-weltkino/greatest-love-all/, 22.6.2016

OT: Toni Erdmann. Deutschland, Österreich 2016 – 162 min. Regie: Maren AdeDrehbuch: Maren AdeProduktion: Maren Ade, Jonas Dornbach, Janine Jackowski, Michel MerktKamera: Patrick OrthSchnitt: Heike ParpliesVerleih: NFP Filmverleih – Besetzung: Sandra Hüller, Peter Simonischek, Michael Wittenborn, Thomas Loibl, Trystan Pütter, Hadewych Minis, Lucy Russell, Ingrid BisuKinostart (D): 14.07.2016IMDB-Link: http://www.imdb.com/title/tt4048272/fullcredits?ref_=tt_ov_st_smVerleih: http://www.nfp-md.de


1. Toni Erdmann